Offener Brief einer Mutter und Risikopatientin an Frau Gebauer

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Uns erreichen ständig Anfragen und Zuschriften besorgter, frustrierter und verzweifelter Eltern. Im folgenden veröffentlichen wir gerne den offenen Brief einer Mutter und Risikopatientin an die Nordhrein-Westfälische Kultusministerin:

Sehr geehrte Frau Gebauer,

Ihren offenen Brief nehme ich als Mutter und Risikopatientin zum Anlass ebenfalls einen offenen Brief an Sie zu richten.

Sie haben Recht: das sich dem Ende neigende Jahr hat uns allen viel abverlangt. Allerdings kam die sich zuspitzende Lage für einen großen Teil der Bevölkerung nicht so überraschend, wie offenbar speziell für die Landesregierung in Düsseldorf. Es fällt mir als betroffene Mutter und zugehörige der Risikogruppe sehr schwer, noch angemessene Worte für die Schulpolitik des vergangenen halben Jahres in NRW zu finden.

Der ansteigende Trend der Infektionszahlen ist seit dem Ende der Sommerferien und nicht nur in NRW oder den anderen Bundesländern zu verfolgen. Weltweit gibt es ausreichend Studien, welche die Rolle der Schulen im Pandemiegeschehen belegen. Mit dem RKI, der Leopoldina und dem Helmholtz Institut haben wir Experten an unserer Seite, die eindeutige Aussagen zur Organisation des Gesundheitsschutzes in Schulen treffen, um dort das Infektionsgeschehen positiv zu beeinflussen.

Ihre Aussage: „Schulen sind keine Infektionsherde, das haben das Robert-Koch-Institut und andere Wissenschaftler wiederholt festgestellt“, stimmt leider nicht. Die Rolle von Schulen/Bildungseinrichtungen als besonders geeignete Verbreitungsmöglichkeit des Virus ist international wissenschaftlicher Konsens. Vor dem Hintergrund der hauptsächlichen Verbreitung durch Aerosole in Kombination von vielen Menschen, die sich über einen längeren Zeitraum gemeinsam in geschlossenen Räumen aufhalten, kann dieser Umstand nach nunmehr fast einem Jahr anhaltender Pandemie nicht mehr wirklich überraschen.

Die Versuche, über „Hygienekonzepte“ an Schulen (hauptsächlich über das Lüften und teilweise das Tragen von Masken) einen positiven Effekt auf das Infektionsgeschehen zu erzielen sind gescheitert. Das war insofern absehbar, als dass die vom RKI ausdrückliche empfohlenen AHA Regeln zu keinem Zeitpunkt vollumfänglich und konsequent umgesetzt wurden.

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die Hygienekonzepte sind nicht ausreichend für einen Infektionsschutz von SUS, LuL und deren Angehörigen.

Richtig ist: Das Infektionsgeschehen macht auch vor den Schulen nicht Halt.
Als Konsequenz muss daher folgen das Ansteckungsrisiko in Schulen umgehend zu minimieren. Leider ignorieren Sie die lebensrettenden wissenschaftlichen Empfehlungen seit dem Sommer konsequent. Wenn man bedenkt, dass der Landtag mit den teuren Lüftungsanlagen ausgestattet ist, die Sie den Schulen aus Kostengründen verwehren.

Die Unterlassung eines Gesundheitsschutzes an Schulen kann und darf nicht weiterhin Ihre Antwort auf das Pandemiegeschehen bleiben.

Sie wollen für Transparenz sorgen? Es lässt sich nicht nachvollziehen, dass die Zahlen zu den Infektionsgeschehen in den Schulen nicht mehr veröffentlicht wurden und Lehrer und Schulleitungen eindeutig Anweisungen erhalten haben, wie sie die Situation an Schulen zu kommunizieren haben. Nämlich als sichere Orte.

Die von Ihnen verwendeten Zahlen zur Darstellung eines verminderten Infektionsgeschehens an Schulen spiegeln nicht die Realität wider, da Schüler nicht im ausreichenden Umfang getestet werden. Auch haben die – vor allem vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Verbreitung von Sars-CoV-2 – nicht nachvollziehbaren und chaotischen Quarantänepraktiken, keinen nachhaltigen Infektionsschutz bewirkt.

Ihre Haltung insbesondere Risikogruppen gegenüber bleibt mehr als bedenklich. Risikogruppen sollen sich schützen und sollen geschützt werden- überall, aber offenbar nicht in Schulen.

Angehörige dieser Familien werden weiterhin zu Bittstellern gemacht. Sie haben ein besonderes Schutzbedürfnis, werden jedoch über Ihre Verordnung durch die Präsenzpflicht zu einer Exposition – über das hinzunehmende alltägliche Lebensrisiko hinaus – gezwungen.

Wir haben es mit einem lebensgefährlichen Erreger zu tun der, wie sich zunehmend zeigt, nicht nur die Gesundheit von Menschen gehobenen Alters oder mit Vorerkrankungen, sondern auch junger und gesunder Menschen nachhaltig gefährdet. Langzeitfolgen bei Jugendlichen sind zu erwarten; sie werden deren Leben nachhaltig beeinträchtigen. Letztere werden zudem vorerst auch nicht geimpft werden können. Alleine das ist ein dringender Tatbestand, der zu einem Umdenken und einer neuen Organisation von Schule zum Schutz der Jugend führen muss, die zukünftig als humanes Kapital unserer Wirtschaft dienen soll. Nur gesunde Menschen können einer Wirtschaft dienen.

Somit muss das Risiko dieser jungen Menschen – unserer Zukunft- minimiert werden, unabhängig der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe!

Als Reaktion auf das aus dem Ruder laufende Infektionsgeschehen wurde nun die Präsenzpflicht bis zum Ende der Weihnachtsferien aufgehoben. Dieser grundsätzlich richtige und längst überfällige Schritt greift jedoch zu kurz. Mit einer echten Schulschließung hätte die Wirksamkeit vermutlich deutlich erhöht werden können. Bei realistischer Betrachtung kann derzeit auch nicht davon ausgegangen werden, dass nach dem 10.01.21 das Infektionsgeschehen einen Punkt erreicht, der einen Verzicht auf strikte Eindämmungsmaßnahmen rechtfertigen würde.

Ein Festhalten an der Präsenzpflicht in Pandemiezeiten entspricht faktisch einer Expositionspflicht.

Eine daraus folgende „Durchseuchung“ über den Weg der Kinder ist zum einen ethisch nicht vertretbar und zum anderen aufgrund der noch ungeklärten Frage zu Langzeitfolgen im „Pandemiemanagement“ völlig ungeeignet. Auch wenn es nicht die offiziell kommunizierte Strategie der Landesregierung ist, so ist es doch das für viele Menschen fatale Ergebnis und die Konsequenz der Schulpolitik in NRW und den anderen Bundesländern.

Eine Aussetzung der Präsenzpflicht bedeutet, wie Sie selbst am besten wissen, nicht die Aussetzung der Schulpflicht. Allein schon durch Eltern, ihre Kinder zu Hause beschulen kann die Schule als Lernort ein Stück weit entzerrt werden und die Umsetzung der AHA-Regeln durch kleinere Klassenverbände in Präsenz leisten. Dieser Umstand alleine ermöglicht den anwesenden einen besseren Infektionsschutz. Es gibt den Familien die jeweilige Entscheidungsfreiheit, wie Sie nach Einschätzung der individuellen Situation mit der Krise umgehen können.

Sowohl das Grundgesetz der BRD als auch die Verfassung des Landes NRW erklären das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zum höchsten Rechtsgut.

Sie greifen in diese elementaren Grundrechte ein, indem Sie das, zweifelsohne wichtige, Recht auf Bildung höher gewichten. Diese Abwägung ist – auch der Ansicht vieler Rechtsexperten nach – nicht zulässig.

Und sie kann auch in der Praxis nicht funktionieren. Denn Bildung bedingt Gesundheit. Eine nachhaltig florierende Wirtschaft bedingt Gesundheit.

Es stimmt, dass unsere Sorgen und Bedürfnisse als Eltern in diesen Tagen sehr unterschiedlich ausfallen. Richtig und unabdingbar ist es deshalb auch, dass uns als mündigen Bürgern der Ermessens- und Entscheidungsspielraum über das Risiko, das wir unsere Familien und insbesondere Kinder verantworten möchten, zugesprochen wird.

Wir müssen als Familien und mündige Bürger in die Lage versetzt werden, selbst verantwortungsvoll für unseren Gesundheitsschutz UND die Bildung unserer Kinder zu sorgen.

Viele Eltern können und wollen dies. Zumal Bildung auch nicht die bloße Vermittlung von Inhalten in Schulpräsenz bedeutet. Vielmehr gilt es gerade in Krisensituationen grunddemokratische und soziale Werte wie Solidarität, Verantwortung, und Empathie zu lernen und zu leben. Nur so können wir in der Krise erfolgreich sein. Nur so können wir als Gesellschaft erfolgreich sein. Nicht zuletzt kann ein „verlorenes“ Schuljahr nachgeholt werden. Ein verlorenes Leben hingegen bleibt verloren.

Frau Gebauer, Sie tragen hier eine Verantwortung und Sie treffen Entscheidungen, die sich unmittelbar auf das Leben und die Gesundheit von mehreren Millionen Menschen, vor allem Familien und Kindern, auswirken. Sie ignorieren dabei konsequent die warnenden Stimmen aus Wissenschaft, legitimierten Vertretungen von Eltern, Lehrkräften und Schulleitungen.

Ihr neuerlicher Stufenplan zeigt ihre Ignoranz gegenüber dem Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Organisation der Schulen.

Stattdessen bieten Sie Initiativen wie „Familien in der Krise“ eine Bühne, die sich ohne entsprechendes Mandat tragfähigen Konzepten verwehren und Infektionsschutz auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse ablehnen. Dabei gibt es seitens BER, diverse Landeselternschaften etc. bereits seit geraumer Zeit Ideen und Lösungsansätze. Als Eltern und Zugehörige einer Risikogruppe kann unsere Forderung an Sie daher nur lauten:

Berücksichtigen und respektieren Sie in Ihren Entscheidungen endlich die grundgesetzlichen Rechte von Eltern, Lehrer:innen und Schüler:innen, insbesondere auf körperliche Unversehrtheit und die Ausübung der Fürsorgepflicht.

Eine temporäre Aussetzung der Präsenzpflicht während der Pandemie gibt uns das Recht und unsere Würde zurück selbstverantwortlich und individuell zu entscheiden, wie wir mit unseren Kindern durch diese Pandemie kommen.

Das Vertrauen vieler Eltern hat bedingt durch den von ihnen eingeschlagenen radikalen Kurs zu Gunsten (kurzfristiger) wirtschaftlicher Interessen zu einem großen Vertrauensverlust in Sie als Entscheidungsträger, Ihre Partei und die Landespolitik als solche geführt.

Wir fordern: respektieren und behandeln Sie uns als mündige Bürger; Fördern Sie Solidarität, Eigen- und Fremdverantwortung.

Das ist der einzige Weg für uns Gesellschaft aus dieser Krise.