Was ist mit den Kitas? – Spielt der Senat auf Zeit?

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Wenn man die letzten zwei Briefe des Senats an die Kitaträger und Eltern liest, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Berliner Verwaltung einmal mehr auf Zeit spielt.

Warum auch nicht? Diese Strategie mit den Kitas hat sich für das Land
bis jetzt finanziell bewährt. Allein der Aufschub um zehn Monate bei der Umsetzung von Maßnahmen im Umgang mit Angehörigen der Risikogruppen (sowohl Kinder als auch Fachkräfte) dürfte die Ausgaben des Senats um einige Millionen verringert haben.

Das gleiche Ziel, schimmert jetzt bei dem neulich entstandenen Konstrukt der „Notversorgung“ durch.

Die Konferenz der Ministerpräsident*innen hat eine Schließung und Notfallbetreuung für Kitas beschlossen. Die aktuelle Antwort Berlins, jedoch sieht anders aus.
Nach der aktuellen Regelung hat faktisch JEDER der arbeitet, Anspruch auf die Betreuung der eigenen Kinder. Das dürfte auf die überwiegende Mehrheit der Familien zutreffen.

Damit steht Berlin unter den Bundesländern zwar nicht alleine da, aber wie schon so oft ganz vorne, wenn es darum geht, Lösungen zu erarbeiten, die Teil des Problems werden.

Mit Schreiben vom 14.12.2020 an Träger und Eltern „verzichtete“ der Senat „auf die Anwendung [einer] Liste systemrelevanter Berufsgruppen“ und forderte stattdessen Eltern auf „ihre Kinder […] möglichst zuhause zu lassen bzw. ein Angebot nur im Falle eines außerordentlich dringlichen Betreuungsbedarfs in Anspruch zu nehmen“.

Was als „außerordentlich dringlich“ verstanden werden soll, wusste zu dem Zeitpunkt keiner.

Bei der Interpretation des Wortlauts setzte der Senat ausdrücklich auf „die Lösungs- und Handlungskompetenz von Einrichtungen und Eltern“ und nahm mögliche Konflikte vor Ort zwischen Kita und Eltern bewusst in Kauf. Gründe für Diskussionen über die Auslegung gab es durch die Formulierung genug.

Am 30.12.2020, möglicherweise auf Druck verschiedener Seiten, sorgte der Senat für Klarheit und schrieb in zwei weiteren Briefe an Träger und Eltern:
„dass auch die Vermeidung von Verdienstausfällen einen außerordentlich dringlichen Betreuungsbedarf darstellt“.
Somit wird die Notwendigkeit Geld zu verdienen, als ausreichender Grund erklärt, um eine Betreuung in Anspruch nehmen zu dürfen.

Was das für die angestrebte Kontaktreduzierung in Kitas in den nächsten Tagen bedeuten wird, dürfte sich jetzt jeder ausrechnen können.

Durch diese aktuelle Regelung wird den Familien jegliche rechtliche Möglichkeit genommen, Ansprüche jeder Art gegenüber dem Senat oder dem Arbeitgeber geltend machen zu können. Gemäß der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes haben „Eltern, die ihre Kinder aufgrund behördlich angeordneter Schul- und Kitaschließungen selbst betreuen müssen und deshalb nicht arbeiten können, [.] Anspruch auf Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz. Voraussetzung ist, dass das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder aufgrund einer Behinderung auf Hilfe angewiesen ist. […]. Eltern und Alleinerziehende erhalten eine Entschädigung von 67 Prozent des entstandenen Verdienstausfalls (maximal 2016 Euro) für längstens zehn Wochen pro erwerbstätigem Elternteil beziehungsweise 20 Wochen für Alleinerziehende.“ (www.bmfsfj.de)
Diese Ansprüche bestehen nur, wenn Kitas behördlich geschlossen werden und nicht, wenn an die Eltern appelliert wird. Nach der jetzigen Regelung bedeutet dies, dass Eltern die arbeiten müssen, auch die Kinder in die Kita bringen müssen!

Hier macht es sich der Senat zu einfach und hebelt durch sein „Konstrukt“ die Anspruchsberechtigungen der Eltern aus.

Der Appell an die Eltern, ihre Kinder zuhause zu behalten, hat an den wenigen Tagen vor Weihnachten funktioniert. Die Inanspruchnahme von Betreuung hat sich tatsächlich gegenüber des Regelbetriebes deutlich verringert. Vielleicht lag es an den anstehenden Ferien, vielleicht an einer radikaleren Interpretation der vorgegebenen Bedingungen für die Betreuung.
Jetzt aber, wo klar formuliert wurde, dass mit „außerordentlich dringlich“ der normale Tag eines arbeitenden Menschen gemeint ist, dürfte die Anzahl der betreuten Kinder nach oben schnellen.

Dies untergräbt Ziele des Lockdowns, der Kontaktreduzierung und dem Schutz vor einer COVID19-Infektion.

Macht nichts, der Berliner Senat wird sicherlich bald erneut eine „Lösung“ finden.
Je nach politischem Trend wird er wieder zum Regelbetrieb wechseln oder doch auf die Liste der systemrelevanten Berufe zurückgreifen, die bereits in den Schulen angewendet wird. Bis dahin ist es der Verwaltung nochmal gelungen, die Probleme auf die Kitas umzuwälzen und sich selbst für ein paar Wochen aus der Verantwortung zu entziehen.

In Berlin werden ca. 180.000 Kinder in Kitas betreut. Jede Woche „freiwilliger“ Kontaktreduzierung in den Kitas, dürfte ein Millionen Ersparnis im mittleren zweistelligen Bereich entsprechen. Kein Grund also, klare und rechtssichere Regelungen zu treffen. Es geht ja auch so. Man sagt: „Gut Ding, will Weile haben“. Nirgendwo weiß man das besser als in Berlin.

Ein weiterer problematischer Aspekt bei dem aktuellen Zustand soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: Wenn alle die Geld durch Arbeit verdienen müssen (und können!) faktisch Anspruch auf das Betreuungsangebot haben, wessen Kinder sollen und können dann zuhause bleiben um die Kontakte zu reduzieren?
Kinder, deren Eltern kein Beruf ausüben können?
Wo bleibt dann die in den letzten Monaten so angepriesene Chancengerechtigkeit?

Ja, die Situation ist sehr komplex. Einfache und vor allem „billige“ Lösungen eignen sich in den seltensten Fällen, um die Krise adäquat zu bewältigen.
Es wird Zeit, dass der Berliner Senat, ohne kreative Umwege, rechtssichere Lösungen für Kitas und Eltern festlegt, um Eltern und Kitas endlich wirklich zu unterstützen.
Es ist SEINE Verantwortung.

Bruno Capra